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Der kranke Rassehund
alarmierende Erkenntnisse der Populationsgenetikerin und Expertin für Hundezucht Prof. Dr. Irene Sommerfeld-Stur

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Der kranke Rassehund – so heisst es in der Schlagzeile und das soll nicht heissen, es gäbe keine gesunden Rassehunde. Aber die Zahl der genetisch bedingten Erkrankungen steigt immer weiter an.

Auch das beschäftigt mich, als es um die Frage geht, welcher Whippetwelpe zieht bei uns ein? Der süße Whippetwelpe „Ready Go“, der mein Herz so erobert hat kommt aus einer gesunden Verbindung. Keine Selbstverständlichkeit.

Ich treffe DIE Fachfrau auf dem Gebiet der Genetik/ Hundezucht für ein Interview zu dem Thema. Irene Sommerfeld-Stur ist Populations-Genetikerin. Die Österreicherin hat 2016 zum Thema Rassehundezucht ein Buch** veröffentlicht.  Irene spricht Klartext. Und was sie sagt, ist alarmierend:

Kranker Rassehund: Es gibt mittlerweile ca. 700 genetisch bedingte Erkrankungen

Irene Sommerfeld-Stur: Es gibt heutzutage in der Größenordnung von 700 definierten genetisch bedingten Erkrankungen und es werden immer mehr. Weniger können’s nicht werden, weil die, die es gibt, verschwinden ja überlicherweise nicht.

Die Ramelöwin: UND DAS LIEGT WORAN?

Irene Sommerfeld-Stur: Ja, (lacht), an den ganzen Fehlern, die die Züchter machen. Sei es dass nicht gegen die Krankheiten selektiert wird, sei es, dass einzelne Rüden im Übermaß eingesetzt werden, sei es dass bestimmte Merkmale züchterisch begünstigt werden, die Krankheitswert haben, die assoziiert sind, mit bestimmten genetischen Erkrankungen, (es) kann auch immer zu neuen Mutationen kommen, die sich dann nach ein paar Generationen phänotypisch(äußerlich erkennbar) manifestieren. Damit müssen die Züchter leben. Und die Käufer.

Wer sich heutzutage einen Rassehund anschafft, der muss damit rechnen, dass er einen kranken Hund hat

Irene Sommerfeld-Stur: Wer sich heutzutage einen Rassehund anschafft, der muss damit rechnen, dass er einen kranken Hund hat, nachher.
Das ist sozusagen zusammengefasst die Situation, wie die Situation ist.
Es gibt Rassen, wo die Gefahr geringer ist, es gibt Rassen, wo die Gefahr größer ist, das ist etwas, das muss man halt versuchen vorher herauszubekommen, das erfordert eine gewisse Recherchearbeit, das erfordert auch eine Bereitschaft zur Beratung.
Wobei es da natürlich auch wichtig ist, WO man sich beraten lässt, denn wenn man sich bei den Züchtern oder beim Zuchtverband einer Rasse beraten lässt, dann wird man in den meisten Fällen keine wirklich offenen Informationen bekommen. Weil die natürlich ihre Welpen verkaufen wollen und ich schätze die Qualität eines Züchters auch danach ein, wie bereitwillig er einen informiert über Krankheiten in der Rasse und in der Linie.

Trotz aller Vorbehalte: Irene hat selbst gerade einen Rassehund angeschafft. Ihre kleine Lynja ist erst ein paar Monate alt, sie ist ein Japan-Spitz.

Irene Sommerfeld-Stur: Bei meiner kleinen Hündin war durchaus mit eine Entscheidungsgrundlage, dass die aus einer totalen Fremdverpaarung stammte, wo auch über Erkrankungen nichts bekannt war. Aber ich kann deswegen nicht sicher sein, dass sie nicht irgendwelche Defektgene in homozygoter Form trägt. Aber ich hab ein relativ geringes Risiko (bei ihr).

Aber wie gesund ist die Verwandtschaft von unserem Rocky? Wie gesund sind die Whippets noch?

Der Whippet gehört noch zu den gesünderen Hunderassen.

Irene Sommerfeld-Stur: Der Whippet ist eine Rasse, bei der ja auch heute noch Rennleistung mehr oder weniger selektiv (züchterisch) bearbeitet wird und bei allen Rassen, bei denen eine körperliche Leistungsfähigkeit Selektionsgrundlage ist, kann man nun mal davon ausgehen, dass die gesünder sind, als Rassen, bei denen rein auf der Basis von Ausstellungen selektiert wird.

Warum Arbeitslinien in der Regel gesünder sind, als Ausstellungslinien

Irene Sommerfeld-Stur: Bei den Showlinien haben wir das Problem, dass bei der Selektion körperliche Leistungsfähigkeit nicht berücksichtigt wird. Sondern es wird ausschließlich das Aussehen bewertet, und dann wird sehr oft beim Aussehen auch eine Variante bewertet, die kontraproduktiv ist in Bezug auf Gesundheit. Also z.B: schwererer Körperbau. Und damit haben wir einerseits eine mehr oder weniger automatische Selektion gegen gesundheitliche Fitness und auf der anderen Seite eine Bevorzugung von körperlichen Merkmalen, die kontraproduktiv sind in Bezug auf Gesundheit und das führt dann einfach zu einem größeren Risiko für genetisch bedingte Erkrankungen.

Linienzucht bei Hunden und die gefährliche Anhäufung gleicher Gene

Um die gewünschten Eigenschaften bei den Nachkommen schnell und effizient zu erreichen, setzen viele Züchter auf die sogenannte „Linienzucht“. Das bedeutet, wie im Beispiel des im Film gezeigten Whippetstammbaums, dass enger verwandte Hunde miteinander gepaart werden.

Wir sehen, wie viele das häufig sind: Alle Hunde, die hier blau gekennzeichnet sind, kommen mehrfach in diesem Stammbaum vor. Linienzucht birgt gesundheitliche Risiken.

Irene Sommerfeld-Stur: Der Punkt ist einfach der, dass im Rahmen der Linienzucht gleiche Gene angehäuft werden bei den Nachkommen und damit eine größere Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie gleiche Defekt-Gene bekommen und damit Merkmalsträger von Defekten werden und dass sie einfach weniger genetische Vielfalt haben und damit eine schlechtere Fitness. Das sind die beiden Risiken der Linienzucht.

In den meisten Rassezuchthund-Archiven kann man sich, wie hier bei den Whippets, eine Stammbaumanalyse mit der Höhe des Inzucht-Koeffizienten auswerfen lassen.

Faustregel beim Rassehundekauf: Niedriger Inzuchtkoeffizient = Risikoreduzierung für das Auftreten genetisch bedingte Erkrankungen

Irene Sommerfeld-Stur: es ist ganz klar: wenn ich die Wahl hab, ich hab sonstige gleiche Bedingungen und ich hab einen Welpen aus einem Wurf, wo der Inzuchtkoeffizient sagen wir mal 6,25% ist und einen anderen, wo der Inzuchtkoeffizient 0,21 ist, dann werde ich mir wahrscheinlich aus dem 2. Wurf einen Welpen nehmen, ohne deswegen sicher sein zu können, dass der nicht vielleicht doch auch Probleme hat, ja, man muss immer berücksichtigen: Der Inzuchtkoeffizient ist ein Wahrscheinlichkeitswert. Es wäre eine Risikoreduzierung.

Die Ramelöwin: Habe ich irgend eine Chance, als Hundehalter eine Erbkrankheit, die ein Welpe in sich trägt, mit bloßem Auge zu erkennen?

Irene Sommerfeld-Stur: Nein, in den wenigsten Fällen, wenn der Welpe nicht schon lahmt, oder andere Auffälligkeiten zeigt. (Als Käufer ist man gut beraten, sich über rassetypischen Erkrankungen gut zu informieren, VORHER.
Es gibt Datenbanken, wo man sich informieren kann, man kann sich auf den Zuchtverbandsseiten informieren, die Züchter haben Webpages und bei den meisten Webpages der Züchter werden durchaus auch Krankheiten thematisiert, also man muss heute als Käufer nicht blauäugig in die Falle tappen, aber auch da bedarf es einer gewissen Einsicht, das heißt: Und das ist etwas was ich auch so paradox finde, wenn ich einen Kühlschrank oder ein Auto kaufe, dann studiere ich vorher Testberichte, Magazine, Prospekte, informiere mich umfassend, und Hunde werden aus dem Bauch heraus gekauft, weil sie so nett dreinschauen, Oder weil der Nachbar diesen Hund hat, und man das auch haben will, und dann schustert man sich Probleme rein, von denen viele Käufer dann auch total überrascht und entsetzt sind. Womit sie sich dann im Grunde auseinandersetzen müssen. Und zum Teil für das dann sogar dazu, dass die Hunde wieder abgegeben werden, Weil die Käufer mit den Problemen nicht klarkommen.

Die Hundezuchtverbände sollten besser aufklären und aktiv werden

Die Zuchtverbände der einzelnen Rassen könnten aktiver sein, findet Irene Sommerfeld-Stur. In Sachen Aufklärung und im Hinwirken auf gesündere Rassehunde tut sich zu wenig.

Irene Sommerfeld-Stur: Naja, es liegt einmal daran, dass auf der Funktionärsebene (in den Hundezuchtverbänden) in vielen Fällen ein sehr geringes Wissen da ist und der 2. Punkt: und das ist jetzt auch wieder ein rein pragmatischer Grund: Hundezuchtverbände leben ja u.a. davon, dass sie viele Mitglieder haben und wenn sie jetzt die Hundezucht-Auflagen zu hoch haben, also die Latte zu hoch legen, dann riskieren sie, dass ihnen die Mitglieder davonlaufen, dann ist noch ein weiterer Punkt: der Hundezuchtverband ist ja im Grunde genommen eine demokratische Institution, d.h. Entscheidungen über das Hundezuchtgeschehen werden auf demokratische Weise in Hundezüchterversammlungen o.ä. getroffen und da hat dann halt die Mehrheit das Sagen.

Welpenkäufer häufig schlecht informiert – Genetikerin fordert Beratungsnachweis für Hundekäufer

Irene Sommerfeld-Stur: Ich würde im Grunde dafür plädieren, dass jeder Hundekäufer bevor er sich einen Hund zulegt eine Beratung sozusagen nachweisen muss. Bei Tierärzten, die also zumindest über die Erkrankungen der bestimmten Rassen durchaus Bescheid wissen und Käufer beraten können, oder dann auch bei Genetikern, bzw dann durchaus auch beim Zuchtverband, wobei man dann auch bei den Zuchtverbänden durchaus davon ausgehen muss, dass einem nicht vollständig die Wahrheit gesagt wird.

Die positive Macht der Hundekäufer: Gezüchtet wird nur, was man auch verkaufen kann.

Und die gute Nachricht zum Schluss: Was und wieviel sich in der Rassehundezucht ändert, das entscheiden letzten Endes wir Hundekäufer selbst.

Irene Sommerfeld-Stur: Der Hundekäufer hat es in gewisser Weise durchaus in der Hand, denn in der Hundezucht gilt, wie in vielen anderen Bereichen auch marktwirtschaftliche Prinzipien, was nicht gekauft wird, wird nicht gezüchtet, umgekehrt: wenn ein gewisses Interesse von den Käufern da ist, dann wird dieses Interesse auch bedient.

(Interview: Oberrimbach im Oktober 2016)
(c) die Ramelöwin